Auf Expedition: Rollenarbeit, Kindheit und der Weg zurück zu mir
Vor Kurzem hatte ich quasi für ein paar Wochen frei – endlich. Eine kleine Auszeit war dringend nötig. Ich hatte das Gefühl, vor allem zu funktionieren und abzuliefern, so viel zu schaffen, dass ich mich in den Stoffen verloren habe.
Guten Tag, ich bin Schauspielerin durch und durch. Ich lebe in und für meine Figuren und erwecke sie in allen Farben und Stimmungen zum Leben. Und immer ist diese Rollenarbeit auch eine Expedition zu mir selbst, nach innen.
Aufgewachsen bin ich als mittleres von drei Kindern einer Opernsängerin und eines Straßenbauunternehmers im Norden von Hamburg – dort, wo die Welt noch klein und in Ordnung war. Direkt an der Quelle der Alster, im Naturschutzgebiet, mit Blätterpfeife in der Hand und stolz auf das selbstgebaute Plumpsklo im Garten.
Wir drei Herzen, wir Geschwister, in unserer Fantasie aus dem Waisenhaus, immer bestens mit Proviant ausgestattet und stets auf der Flucht vor den uns jagenden Buscha-Buscha-Männern, allein in der Natur. Schlittschuhlaufen hinter der Kuhwiese, Entdeckungstour im wilden Westen – denn Fernsehen gab es nur ab und zu, und das Spielen draußen war ein Abenteuer für sich. „Bonanza“, „Ein Herz für zwei“ oder „Ein Colt für alle Fälle“ waren bestes Material für filmreife Umsetzungen in unserer Kinderkulisse aus geschnitzten Stöcken, geköchelten Rindensüppchen und Brombeermarmeladen.
Wo das Land weit und fruchtbar ist, wachsen Ideen zu ganzen Theaterstücken aus. Was bühnenreif war, wurde den Nachbarskindern vorgespielt – und manche Deutschstunde wurde zur Extra-Theaterwerkstatt mit improvisiertem Ende, das nie ein Ende fand.
Herrlich auch die Schlauchbootausflüge an der nahen Ostsee. Die Musik am Vormittag in der Kirche, die große Orgel, das Austesten der eigenen Stimmweite im sakralen Raum. Ich bin ganz allein – und doch in der weiten Welt zu hören. Singe, wem Gesang gegeben.
Im vergangenen Sommer kam eine Hörbuchproduktion, für die ich brannte, für die ich alles gab. Aber das Ergebnis überzeugte mich nicht – obwohl es von vielen Seiten als sehr gut bewertet wurde. Lob auf der Frankfurter Buchmesse, Meinungen von „umstritten“ bis „einzigartig“. Ich musste lernen, meine eigene Wahrnehmung einzuordnen: Was genau hat mir nicht gefallen? Was ist andererseits absolut treffend angelegt?
So ist es, wenn uns Schauspieler:innen etwas besonders am Herzen liegt: Wir gehen ganz darin auf – und fallen tief, wenn wir nicht zufrieden sind.
Ich hatte Schamgefühle, fühlte mich verloren, schwach, unfähig. Monatelang nahm ich keine Manuskripte mehr an.
Dann klärte sich Stück für Stück, was passiert war. Ich lernte die technischen Finessen kennen, mit denen die Postproduktion – trotz bester Absicht meiner Partner und Helfer – mein eingesprochenes Material so verarbeitet hatte, dass ich mich darin nicht wiederfand.
Im Nachhinein bin ich durch dieses Tal der Tränen erst richtig aufgewacht. Ich begann zu analysieren: Was sind meine Stellschrauben? Was kann ich verbessern? Und worauf habe ich keinen Einfluss?
Lebendiges Lernen setzte ein. Ich habe mich kritisch mit meinen Fehlern auseinandergesetzt. Mir wurde bewusst, was ich grundlegend verbessern will – was ich beherrschen möchte.
Und es ist ganz einfach: Was mich erdet, tut mir gut, bringt mir Resonanz, lässt meine Stimme frei schwingen und gibt mir Selbstsicherheit zurück – Kraft, Weite.
Es ist wichtig, dass das Leben nicht nur glatt läuft. Alte Schmerzen gilt es zu überwinden, auch wenn man sich in ihnen gefangen fühlt. In den zurückliegenden Wochen habe ich mir Zeit genommen, meine Perspektive neu auszuloten, meine innere Stärke wiederzuentdecken und die Verbindung zu mir selbst zu erfrischen.
Ich habe angenommen, was war, mich umgesehen, eine neue Position gesucht und konnte anfangen, weiter zu wachsen – ohne mir permanent selbst zuzuhören, zu analysieren und kritisch zu urteilen.
Sich selbst behutsam und mit Muße zu beobachten, ist richtig. Sobald man den inneren Quell wiederfindet, kann auch das innere Kind wieder selbstvergessen spielen.
Heute weiß ich umso mehr, was mich antreibt und was mich glücklich macht.
Es braucht Mut, Fehler zu machen und sie zu erkennen. Es braucht Verstand, auch die Fehler anderer einzuordnen – und Herzenswärme, daran zu wachsen.
Zurück ist die Überzeugung, mit meinem Reichtum Welten in Worte zu fassen.
“To truly laugh, you must be able to take your pain, and play with it!”
Charlie Chaplin.
Häufige Fragen zu „Auf Expedition“
Warum ist Rollenarbeit für dich eine Expedition?
Weil jede Figur ein Weg nach innen ist: zu Emotionen, Erfahrungen und Wahrheiten.
Was war die Krise bei der Hörbuchproduktion?
Nicht die Aufnahme selbst, sondern die Postproduktion ließ mich mein eigenes Material nicht wiedererkennen.
Was hat dir geholfen zurückzufinden?
Erdung, Resonanz, Abstand zu innerer Kritik – und die Rückbesinnung auf das, was mich künstlerisch trägt.
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