Auf Expedition: Rollenarbeit, Kindheit und der Weg zurück zu mir

von Ann Vielhaben (Kommentare: 0)

In: Persönliches

Ein Mädchen von hinten mit mehreren Luftballons am Handgelenk, auf einer Sommerwiese stehend

Vor Kurzem hatte ich quasi für ein paar Wochen frei – endlich. Eine kleine Auszeit war dringend nötig. Ich hatte das Gefühl, vor allem zu funk­tionieren und abzuliefern, so viel zu schaffen, dass ich mich in den Stoffen ver­loren habe.

Guten Tag, ich bin Schauspielerin durch und durch. Ich lebe in und für meine Figuren und erwecke sie in allen Farben und Stimmungen zum Leben. Und immer ist diese Rollen­arbeit auch eine Expedition zu mir selbst, nach innen.

Aufgewachsen bin ich als mittleres von drei Kindern einer Opern­sängerin und eines Straßenbau­unternehmers im Norden von Hamburg – dort, wo die Welt noch klein und in Ordnung war. Direkt an der Quelle der Alster, im Natur­schutz­gebiet, mit Blätter­pfeife in der Hand und stolz auf das selbst­gebaute Plumps­klo im Garten.

Wir drei Herzen, wir Geschwister, in unserer Fantasie aus dem Waisen­haus, immer bestens mit Proviant aus­gestattet und stets auf der Flucht vor den uns jagenden Buscha-Buscha-Männern, allein in der Natur. Schlittschuh­laufen hinter der Kuhwiese, Entdeckungs­tour im wilden Westen – denn Fernsehen gab es nur ab und zu, und das Spielen draußen war ein Abenteuer für sich. „Bonanza“, „Ein Herz für zwei“ oder „Ein Colt für alle Fälle“ waren bestes Material für filmreife Umsetzungen in unserer Kinder­kulisse aus geschnitzten Stöcken, geköchelten Rinden­süppchen und Brombeer­marmeladen.

Wo das Land weit und fruchtbar ist, wachsen Ideen zu ganzen Theater­stücken aus. Was bühnenreif war, wurde den Nachbars­kindern vor­gespielt – und manche Deutsch­stunde wurde zur Extra-Theater­werkstatt mit improvi­siertem Ende, das nie ein Ende fand.

Herrlich auch die Schlauchboot­ausflüge an der nahen Ostsee. Die Musik am Vormittag in der Kirche, die große Orgel, das Austesten der eigenen Stimm­weite im sakralen Raum. Ich bin ganz allein – und doch in der weiten Welt zu hören. Singe, wem Gesang gegeben.

Im vergan­genen Sommer kam eine Hörbuch­produktion, für die ich brannte, für die ich alles gab. Aber das Ergebnis überzeugte mich nicht – obwohl es von vielen Seiten als sehr gut bewertet wurde. Lob auf der Frankfurter Buchmesse, Meinungen von „umstritten“ bis „einzigartig“. Ich musste lernen, meine eigene Wahr­nehmung einzu­ordnen: Was genau hat mir nicht gefallen? Was ist andererseits absolut treffend angelegt?

So ist es, wenn uns Schauspieler:innen etwas besonders am Herzen liegt: Wir gehen ganz darin auf – und fallen tief, wenn wir nicht zufrieden sind.

Ich hatte Scham­gefühle, fühlte mich verloren, schwach, unfähig. Monatelang nahm ich keine Manu­skripte mehr an.

Dann klärte sich Stück für Stück, was passiert war. Ich lernte die technischen Finessen kennen, mit denen die Post­produktion – trotz bester Absicht meiner Partner und Helfer – mein ein­gesprochenes Material so ver­arbeitet hatte, dass ich mich darin nicht wiederfand.

Im Nachhinein bin ich durch dieses Tal der Tränen erst richtig aufgewacht. Ich begann zu analy­sieren: Was sind meine Stell­schrauben? Was kann ich verbessern? Und worauf habe ich keinen Einfluss?

Lebendiges Lernen setzte ein. Ich habe mich kritisch mit meinen Fehlern ausein­ander­gesetzt. Mir wurde bewusst, was ich grund­legend verbessern will – was ich beherrschen möchte.

Und es ist ganz einfach: Was mich erdet, tut mir gut, bringt mir Resonanz, lässt meine Stimme frei schwingen und gibt mir Selbst­sicherheit zurück – Kraft, Weite.

Es ist wichtig, dass das Leben nicht nur glatt läuft. Alte Schmerzen gilt es zu über­winden, auch wenn man sich in ihnen gefangen fühlt. In den zurück­liegenden Wochen habe ich mir Zeit genommen, meine Perspektive neu auszu­loten, meine innere Stärke wieder­zuentdecken und die Verbin­dung zu mir selbst zu erfrischen.

Ich habe angenommen, was war, mich umgesehen, eine neue Position gesucht und konnte anfangen, weiter zu wachsen – ohne mir permanent selbst zu­zuhören, zu analy­sieren und kritisch zu urteilen.

Sich selbst behutsam und mit Muße zu beobachten, ist richtig. Sobald man den inneren Quell wieder­findet, kann auch das innere Kind wieder selbst­vergessen spielen.

Heute weiß ich umso mehr, was mich antreibt und was mich glücklich macht.
Es braucht Mut, Fehler zu machen und sie zu erkennen. Es braucht Verstand, auch die Fehler anderer einzu­ordnen – und Herzens­wärme, daran zu wachsen.

Zurück ist die Über­zeugung, mit meinem Reichtum Welten in Worte zu fassen.

“To truly laugh, you must be able to take your pain, and play with it!”

Charlie Chaplin.

 

Häufige Fragen zu „Auf Expedition“

Warum ist Rollen­arbeit für dich eine Expedition?

Weil jede Figur ein Weg nach innen ist: zu Emotionen, Erfah­rungen und Wahrheiten.

Was war die Krise bei der Hörbuch­produktion?

Nicht die Aufnahme selbst, sondern die Post­produktion ließ mich mein eigenes Material nicht wieder­erkennen.

Was hat dir geholfen zurückzufinden?

Erdung, Resonanz, Abstand zu innerer Kritik – und die Rück­besinnung auf das, was mich künstlerisch trägt.

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