Man ist das langweilig! Wie man Texte besser nicht schreiben sollte

von Ann Vielhaben (Kommentare: 0)

In: Stimme & Sprechen, Techniken

Zeichnung von sitzendem jungen Mann vor Laptop, scheinbar nachdenklich in die Kamera schauend

Immer wieder ärgere ich mich bei den von mir einzu­sprechenden Texten über schlechte Sprache, Struktur und Aufbau. Sowohl in Über­setzungen von Hörbuch­skripten als auch in Doku-Formaten fehlt es manchmal an sprachlichem Fein­gefühl.

Meist redigiere ich solche Stellen ganz selbst­verständlich – über­wiegend in Absprache mit dem Verlag und für den Abhörer markiert, damit er es nicht als „falsch ein­gelesen“ zurückgibt. Das geht bei Hörbuch­manu­skripten während der Vor­bereitung oft gut.

Wie wichtig ist ein griffiger Text in Voice-Over-Formaten?

Bei Voice-Over-Formaten pflege ich sinn­hafte Korrek­turen auch mal „on the fly“, also während der Aufnahme ein. Das macht Spaß und ist meist sehr ziel­führend, weil ich mitten in der Materie bin und weiß, was zeitlich und tonal zu einer engli­schen Phrase passt.

Natürlich ist das kund:innen­abhängig. Manchmal braucht es Absprachen im Vorfeld oder Alternativ­aufnahmen – je nach Umfang mit zusätzlichem Aufwand.

Das perfekte Buch für lippensynchrone Inhalte

Wenn ein Synchron-Dialogbuch in mieser Qualität im Studio landet, bin ich ehrlich gesagt entsetzt. Da wurde offenbar nur die Roh-Über­setzung der Conti stehen­gelassen oder die Original­fassung Wort für Wort aus einem Auto-Über­setzer übernommen.

Aber lippensynchrone Texte sind mehr als Lippen:
Wenn eine Figur aus einem bestimmten Milieu kommt, Jugend­sprache spricht oder mit medizi­nischem Fach­jargon operiert, verändert das die Über­setzung komplett – und muss in den synchronisierten Text einbezogen werden. Genau hier zeigt sich die Gewandt­heit und Raffi­nesse guter Dialogbuch­autor:innen.

Peter Panter - Ratschläge für einen schlechten Redner oder die Ironie eines Kurt Tucholsky

Im Netz gibt es ein paar wunderbare, teils humorige Texte, um das allgemeine Schreibhandwerk zu erlernen oder zu verbessern.

Peter Panter, auch und manchem besser bekannt als Kurt Tucholsky (1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg)

aus: Vossische Zeitung, 16.11.1930, Nr. 542, wieder in: „Lerne Lachen“.

https://das-blaettchen.de/2016/11/ratschlaege-37820.html

Ratschläge für einen schlechten Redner

Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so:

»Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz ... «

Hier hast du schon so ziemlich alles, was einen schönen Anfang ausmacht: eine steife Anrede; der Anfang vor dem Anfang; die Ankündigung, daß und was du zu sprechen beabsichtigst, und das Wörtchen kurz. So gewinnst du im Nu die Herzen und die Ohren der Zuhörer.

Denn das hat der Zuhörer gern: daß er deine Rede wie ein schweres Schulpensum aufbekommt; daß du mit dem drohst, was du sagen wirst, sagst und schon gesagt hast. Immer schön umständlich!

Sprich nicht frei – das macht einen so unruhigen Eindruck.

Am besten ist es: du liest deine Rede ab. Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende Redner nach jedem viertel Satz mißtrauisch hochblickt, ob auch noch alle da sind.

Wenn du gar nicht hören kannst, was man dir so freundlich rät, und du willst durchaus und durchum frei sprechen ... du Laie! Du lächerlicher Cicero! Nimm dir doch ein Beispiel an unsern professionellen Rednern, an den Reichstagsabgeordneten – hast du die schon mal frei sprechen hören? Die schreiben sich sicherlich zu Hause auf, wann sie »Hört! hört!« rufen ... ja, also wenn du denn frei sprechen mußt:

Sprich, wie du schreibst. Und ich weiß, wie du schreibst.

Sprich mit langen, langen Sätzen – solchen, bei denen du, der du dich zu Hause, wo du ja die Ruhe, deren du so sehr benötigst, deiner Kinder ungeachtet, hast, vorbereitest, genau weißt, wie das Ende ist, die Nebensätze schön ineinander­geschachtelt, so daß der Hörer, ungeduldig auf seinem Sitz hin und her träumend, sich in einem Kolleg wähnend, in dem er früher so gern geschlummert hat, auf das Ende solcher Periode wartet ... nun, ich habe dir eben ein Beispiel gegeben. So mußt du sprechen.

Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du auch sprichst, die geschichtlichen Hintergründe der Sache. Das ist nicht nur deutsch – das tun alle Brillenmenschen. Ich habe einmal in der Sorbonne einen chinesischen Studenten sprechen hören, der sprach glatt und gut französisch, aber er begann zu allgemeiner Freude so: »Lassen Sie mich Ihnen in aller Kürze die Entwicklungs­geschichte meiner chinesischen Heimat seit dem Jahre 2000 vor Christi Geburt ... « Er blickte ganz erstaunt auf, weil die Leute so lachten.

So mußt du das auch machen. Du hast ganz recht: man versteht es ja sonst nicht, wer kann denn das alles verstehen, ohne die geschichtlichen Hintergründe ... sehr richtig! Die Leute sind doch nicht in deinen Vortrag gekommen, um lebendiges Leben zu hören, sondern das, was sie auch in den Büchern nachschlagen können ... sehr richtig! Immer gib ihm Historie, immer gib ihm.

Kümmere dich nicht darum, ob die Wellen, die von dir ins Publikum laufen, auch zurückkommen – das sind Kinker­litzchen. Sprich unbekümmert um die Wirkung, um die Leute, um die Luft im Saale; immer sprich, mein Guter. Gott wird es dir lohnen.

Du mußt alles in die Nebensätze legen. Sag nie: »Die Steuern sind zu hoch.« Das ist zu einfach. Sag: »Ich möchte zu dem, was ich soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, dass mir die Steuern bei weitem ... « So heißt das.

Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor – man sieht das gern.

Wenn du einen Witz machst, lach vorher, damit man weiß, wo die Pointe ist.

Eine Rede ist, wie könnte es anders sein, ein Monolog. Weil doch nur einer spricht. Du brauchst auch nach vierzehn Jahren öffentlicher Rednerei noch nicht zu wissen, daß eine Rede nicht nur ein Dialog, sondern ein Orchesterstück ist: eine stumme Masse spricht nämlich ununterbrochen mit. Und das mußt du hören. Nein, das brauchst du nicht zu hören. Sprich nur, lies nur, donnere nur, geschichtele nur.

Zu dem, was ich soeben über die Technik der Rede gesagt habe, möchte ich noch kurz bemerken, daß viel Statistik eine Rede immer sehr hebt. Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn verschiedene Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spaß.

Kündige den Schluß deiner Rede lange vorher an, damit die Hörer vor Freude nicht einen Schlaganfall bekommen, (Paul Lindau hat einmal einen dieser gefürchteten Hochzeitstoaste so angefangen: »Ich komme zum Schluß.«) Kündige den Schluß an, und dann beginne deine Rede von vorn und rede noch eine halbe Stunde. Dies kann man mehrere Male wiederholen.

Du mußt dir nicht nur eine Disposition machen, du mußt sie den Leuten auch vortragen – das würzt die Rede.

Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst lohnt es gar nicht erst anzufangen.

Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören – das ist deine Gelegenheit! Mißbrauche sie.

 

Ratschläge für einen guten Redner:

  • Hauptsätze. Hauptsätze. Hauptsätze.
  • Klare Disposition im Kopf – möglichst wenig auf dem Papier.
  • Tatsachen, oder Appell an das Gefühl. Schleuder oder Harfe. Ein Redner sei kein Lexikon. Das haben die Leute zu Hause.
  • Der Ton einer einzelnen Sprechstimme ermüdet; sprich nie länger als vierzig Minuten. Suche keine Effekte zu erzielen, die nicht in deinem Wesen liegen. Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache – da steht der Mensch nackter als im Sonnenbad.
    Merk Otto Brahms Spruch: Wat jestrichen is, kann nich durchfalln.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 16.11.1930, Nr. 542, auch zu finden in: „Lerne Lachen, ohne zu weinen“, 1931.
(Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke Bd. III, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1960, S. 600)

Ebenda und empfehlenswert:
„Ratschläge für einen guten Redner“, Kurt Tucholsky, 1936

Schöne weitere Quellen seien hier genannt, damit einiges Wissen im eigenen Hirn landet, von wo aus es abrufbar sein möge und rekapituliert werden kann. ;-)

Hans Reimann: „Vergnügliches Handbuch der deutschen Sprache“, 1931
Frank L. Visco: „The first set of rules“, Writer´s digest, 1986

Schwarzer Panther, liegend

Wie man gut schreibt - ein Augenzwinkern

Sehr empfehlens­wert ist auch der Blog „Die Macht der Worte. Wie man gut schreibt“ von Thies Thiessen. Seine Regeln lesen sich wie ein Spiegel für die häufigsten Text­sünden – und sind im Studio sofort hörbar.

 

Daraus hier die ersten 14. Punkte:

1. Alliterationen auslassen. Allezeit.

2. Fuck Anglizismen!

3. Denk Dir keine Sätze, die das Prädikat zerteilen, aus.

4. Achte auf korekte Orthographie, und Interpunktion

5. Meide das Klischee wie der Teufel das Weihwasser. Es ist ein alter Hut.

6. Vergleiche sind schlimmer als Klischees.

7. Am schlimmsten sind Superlative.

 

Achtens: Halte Aufbau und Stil durch.

 

9. Sei mehr oder weniger spezifisch.

10. Kein Mensch mag allgemeine Behauptungen.

11. Sei nicht redundant, benutze nicht mehr Wörter als nötig. Das ist nämlich total absolut überflüssig.

12. ? Oder: ab hier verrutscht die Aufzählung

13. Wer braucht rhetorische Fragen?

14. Übertreibung ist eine Million mal schlimmer als Untertreibung.

15. Aufzählungen mit mehr als 10 Punkten werden unübersichtlich.

 

Am Ende bleibt für mich immer dieselbe Erkenntnis:

Guter Text ist Respekt gegenüber Publikum, Produktion und Sprecher:innen.
Denn was auf dem Papier stumpf wirkt, kann auch mit der besten Stimme nur schwer glänzen.

 

Häufige Fragen zu schlechten Skripten und guten Dialogen

Warum sind gute Texte für Voice Over so wichtig?

Weil Rhythmus, Klarheit und Sinn­führung direkt die Verständlichkeit und Wirkung bestimmen.

Was ist das größte Problem bei schlechten Synchron-Dialogbüchern?

Roh-Über­setzungen ohne Milieu, Sprach­melodie und echte Figuren­stimme.

Darf man Texte im Studio korrigieren?

Ja, in Absprache mit Verlag oder Kund:innen – oft spart das Zeit und verbessert das Ergebnis.

Zeichnung von Comic artigem Affengesicht

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 2 und 9.